Fall Niebel: Ex-Minister sollen Kontakte weiterhin zu Geld machen dürfen

Ex-Minister wie Dirk Niebel sollen ihre dienstlich erworbenen Kontakte weiterhin zu Geld machen dürfen. Die Große Koalition plant zwar eine gesetzliche Auszeit für scheidende Regierungsmitglieder, doch die dürfte weitgehend wirkungslos sein: Weder der Fall Niebel noch die Seitenwechsel von Roland Pofalla und Eckart von Klaeden wären dadurch verhindert worden. Dabei brauchen sich Politiker von einer Zwangspause nicht zu fürchten: Ihnen steht zwei Jahre lang ein üppiges Übergangsgeld zu.

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 08.07.2014

"Niebel blamiert die Politik", titelte SPIEGEL ONLINE kürzlich, doch blamiert stand weniger die Politik im Allgemeinen als vielmehr die Große Koalition im Speziellen da. Denn nach dem Fall Pofalla (Deutsche Bahn) offenbarte sich beim Seitenwechsel des früheren Entwicklungshilfeministers Dirk Niebel einmal mehr, wie tatenlos Union und SPD in Sachen Karenzzeit geblieben sind.

Im Januar hatte die Große Koalition durchblicken lassen, dass sie allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen eine gesetzliche Regelung anstrebt. Damals waren GroKo-Juristen zu der Auffassung gelangt, dass Ausnahmen von der Freiheit der Berufswahl unbedingt durch ein Gesetz geregelt werden müssten. Geschehen ist seitdem - nichts.

Ein großer Wurf, sprich: eine wirkungsvolle Regelung, war auch gar nicht zu erwarten. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer wollte seinerzeit gegenüber abgeordnetenwatch.de zwar keine konkrete Monatszahl nennen, dafür gab ein SPD-Fraktionssprecher Einblick in den damaligen Diskussionsstand der GroKo: "Wir tendieren zu 18 Monaten, unser Koalitionspartner mit etwa 6 Monaten zu deutlich weniger."

Dabei gibt es gar keinen Grund für eine besonders kurz bemessene Auszeit für ausscheidende Regierungsmitglieder. Niebel etwa steht 24 Monate lang ein üppiges Übergangsgeld zu, durch das er finanziell abgesichert wäre. In den ersten drei Monaten wird das Amtsgehalt von derzeit 12.360 Euro (plus Ortszuschlag) in voller Höhe ausgezahlt, danach immerhin noch zur Hälfte. So gesehen müssen Ex-Minister und -Staatssekretäre nicht die allerste Jobofferte annehmen, sondern können den Arbeitsmarkt in Ruhe sondieren.

Natürlich hat Rheinmetall den früheren Oberfeldwebel und Hauptmann der Reserve Dirk Niebel nicht wegen seiner fachlichen Kompetenz im Rüstungsgeschäft verpflichtet, sondern als Türöffner zu den politischen Entscheidungsträgern in aller Welt. "Ausbau von globalen Regierungsbeziehungen" heißt Niebels Jobbeschreibung bei Rheinmetall.

Warum aber soll ein Privatunternehmen die dienstlich erworbenen Kontakte eines Politikers abgreifen können? Oder umgekehrt gefragt: Warum soll ein Politiker seine dienstlich erworbenen Kontakte als Privatmann versilbern?

Pikant ist Niebels Seitenwechsel zu Rheinmetall u.a. deshalb, weil er zu Zeiten der schwarz-gelben Bundesregierung qua Amt dem Bundessicherheitsrat angehörte und dort über die Genehmigung von Waffenexporten mitentschied. Auch Niebels neuer Arbeitgeber Rheinmetall profitierte davon. Ob es schon während seiner Ministerzeit Gespräche über eine spätere Beschäftigung gab, ist bislang nicht bekannt.

Offenbar wurde die Große Koalition von der Wucht der Kritik an Niebels Seitenwechsel überrascht. Konkrete Pläne für eine Karenzzeit schienen Union und SPD jedenfalls nicht in der Schublade zu haben. Eine Regierungssprecherin konnte vergangene Woche weder einen Zeitplan für eine Karenzzeitregelung noch mögliche Eckpunkte nennen, die ein Gesetz enthalten könnte.

Dass die Erarbeitung des Gesetzes so langsam vorankommt, dürfte nicht zuletzt mit der Haltung der Union zusammen hängen. CDU und CSU hätte am liebsten gar keine verbindliche Regelung, sondern einen bloßen „Ehrenkodex“, der nur Empfehlungen enthält. Derzeit sieht es nach einem Kompromiss aus: Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, erklärte kürzlich, die Große Koalition wolle noch vor der Sommerpause eine Karenzregelung vorlegen. Die Abkühlphase für ausscheidende Regierungsmitglieder bis zur Aufnahme einer Lobbytätigkeit könne bei 12 Monaten liegen.

Eine Zwangspause von einem Jahr wäre allerdings eine weitgehend unwirksame Regelung: Weder der Wechsel von Dirk Niebel zu Rheinmetall noch der von Eckart von Klaeden zu Daimler wären davon in irgendeiner Weise betroffen gewesen. Wer verhindern  erschweren will, dass Regierungsmitglieder ihr Adressbuch zu Geld machen, muss eine Karenzzeit von mindestens drei Jahren beschließen. Denn je länger die Abkühlphase, desto uninteressanter werden die Kontakte aus der Minsterzeit für einen potentiellen Arbeitgeber. Auch für ehemalige Regierungsmitglieder würde ein Lobbyjob nur noch wenig Anziehungskraft ausüben, wenn er drei Jahre abwarten müsste. Dass dies einem Berufsverbot gleichkäme, wie einige behaupten, ist Unsinn: Gegen die Tätigkeit bei einer Nichtregierungsorganisation oder als Sozialpädagoge zur Krisenintervention innerhalb der Familie hätte niemand etwas einzuwenden, die Karenzzeit würde lediglich Lobbyjobs betreffen.

Wie ernst es die GroKo mit einer gesetzlichen Regelung meint, wird sich erweisen. Als die Opposition letzten Mittwoch im Innenausschuss über die Zwangspause reden wollte, strichen Union und SPD das Thema von der Tagesordnung.

Während der Auslöser der jüngsten Diskussion, der künftige Rheinmetallmitarbeiter Dirk Niebel, sich bislang öffentlich bedeckt hielt, meldete sich sein Parteichef Christian Lindner zu Wort. Auf Facebook forderte der FDP-Chef die Große Koalition "ganz unabhängig von aktuellen Einzelfällen" auf, einen Ehrenkodex für den Wechsel in die Wirtschaft zu beschließen, damit diese "nicht länger eine Frage des individuellen Verantwortungsgefühls" bleibe. Auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage via Twitter, warum die FDP dies nicht schon zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition beschlossen habe, antwortete Lindner:

Auf den Einwand, dass die damaligen FDP-Minister wie Dirk Niebel sich selbst einem Ehrenkodex hätten unterwerfen können, reagierte Lindner nicht mehr.

Moritz Küster, Martin Reyher

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