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Politiker wollen Lobbyisten-Dokumente ins Internet stellen

Essens-Einladungen, Argumentationshilfen, "Abstimmungs-Empfehlungen": Unzählige Schreiben von Lobbyisten landen Woche für Woche in den Posteingängen der Abgeordneten. Gegen das Dauerfeuer der Interessenvertreter gehen einige Politiker nun in die Offensive: Sie stellen die Dokumente ins Internet. Die ersten Papiere sind schon online.

von Martin Reyher, 08.05.2014

 

 

Foto LobbyistengeschenkMit Schokolade liegt man eigentlich niemals falsch, denken sie sich vermutlich beim Verband der Verkehrsunternehmen. Kürzlich brachte sich die Lobbyorganisation bei den Abgeordneten mit einer Schachtel Pralinen in Erinnerung, versehen mit einer "freundlichen Empfehlung" und dem Hinweis auf die "richtungsweisenden verkehrspolitischen Entscheidungen" in dieser Wahlperiode. Die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner stellte ein Foto dieser "skurrilen Lobbyistengabe" ins Internet (s. rechts), andere Politiker verfahren unter dem Hashtag #lobbytweet nach derselben Methode.

Nun ist eine Plattform online gegangen, auf der weit mehr öffentlich gemacht werden soll als süße Aufmerksamkeiten von Interessenvertretern: nämlich Dokumente, mit denen Lobbyisten inhaltlichen Einfluss auf politische Entscheidungen im Europäischen Parlament nehmen wollen.

Auf lobbycloud.eu sollen die bislang verdeckten Aktivitäten der geschätzt über 10.000 Brüsseler Lobbyisten transparent werden. Die Grünen-Fraktion habe zugesagt, Lobbyisten-Dokumente nach dem 25. Mai durch ihre neu gewählten Abgeordneten auf lobbycloud.eu zugänglich zu machen, berichteten die Projektentwickler Marco Maas und Sebastian Vollnhals am Dienstag auf der Digital-Konferenz re:publica14 in Berlin. Außerdem würden einzelne Politiker von Linken, Liberalen, Piraten sowie ein Vertreter der CSU mitmachen - den Einzug ins EU-Parlament vorausgesetzt.

Schon jetzt sind auf lobbycloud.eu die ersten Dokumente online. So macht Vodafone in einem Papier konkrete Textvorschläge für Änderungsanträge zum "Telecom-Binnenmarkt". Dass Abgeordnete die Formulierungen 1:1 in das parlamentarische Verfahren einbringen, ist nicht nur die stille Hoffnung der Interessenvertreter, sondern bittere Realität *. Zu besichtigen sind etliche solcher Fälle auf der Plattform lobbyplag.eu, die ebenso wie lobbycloud.eu von OpenDataCity entwickelt wurde, einer Agentur für Datenjournalismus und Datenvisualisierungen. OpenDataCity hat zahlreiche Transparenz-Projekte, u.a. für die Süddeutsche Zeitung, taz und NZZ, umgesetzt.

Finanziert wird lobbycloud.eu von den Grünen im Europäischen Parlament. Im Vertrag sei festgeschrieben, dass die inhaltliche Hoheit über die Plattform beim Betreiber liege, und dieser sei OpenDataCity, so die Entwickler auf der re:publica14. Für den Ausbau und die Weiterentwicklung würden weitere Geldgeber gesucht, um auf möglichst vielen Beinen zu stehen.

Eines Tages könnten, so die Hoffnung von Marco Maas, auf lobbycloud.eu auch Geheimverträge geleakt werden, zum Beispiel die Verhandlungsdokumente des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP. Gesucht wird noch: ein Insider, der sie auf lobbycloud.eu hochlädt.

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* Zusatzmaterial 1:

Das ARD-Magazin Monitor hat vor einiger Zeit zwei EU-Abgeordnete damit konfrontiert, dass sie Lobby-Texte wortwörtlich übernommen und als eigene Änderungsanträge eingebracht haben. Der CDU-Politiker Burkhard Balz sagte: "Das ist doch schön, wenn andere Organisationen eine Meinung haben und ich zufällig auch diese Meinung habe." Die Erklärung des CSU-Abgeordneten Markus Ferber lautete: Nicht er habe die Vorschläge von der Börsenlobby übernommen, sondern sie von ihm. - Sehen Sie hier den ganzen Monitor-Beitrag:

 

Zusatzmaterial 2:

Präsentation von lobbycloud.eu durch Marco Maas und Sebastian Vollnhals (OpenDataCity) auf der re:publica14:


Zusatzmaterial 3:

Dass Abgeordnete Fotos von Lobbyistengeschenken unter dem Hashtag #lobbytweet öffentlich machen, war eine Anregung des Social Media-Experten Martin Fuchs. Hier finden Sie den Text in seinem Blog "Hamburger Wahlbeobachter".

Foto Lobbyistengeschenk (oben rechts): Tabea Rößner, MdB

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