Ole von Beust und das Hamburger Roland Berger-Netzwerk

Vom Ersten Bürgermeister zum Unternehmensberater: Dieser Tage nimmt Hamburgs früheres Stadtoberhaupt Ole von Beust seine Tätigkeit als "Senior Advisor" bei Roland Berger auf. Interessant für den neuen Arbeitgeber sind vor allem seine Kenntnisse und Kontakte. Doch bereits jetzt verfügt Roland Berger in Hamburg über beste Kontakte in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft: Der Finanzsenator, die Uni-Kanzlerin und die Geschäftsführerin der Elbphilharmonie-Stiftung - sie alle sind ehemalige Roland Berger-Berater.

von Martin Reyher, 04.10.2010
Lobbyismus (Symbolbild)

Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust ist ein Mann mit Prinzipien. Fast neun Jahre diente er seiner Geburtsstadt Hamburg als Erster Bürgermeister, bevor er im Juli seinen Rücktritt verkündete. Zur Beust'schen Prinzipientreue gehört z.B., dem Steuerzahler nicht schon im Alter von 55 Jahren "auf der Tasche zu liegen", obwohl er bereits jetzt Pensionsansprüche von kanpp 10.000 Euro hätte. Seine Brötchen will der Alt-Bürgermeister nun erst einmal selbst verdienen.

Wie das Magazin Focus kürzlich berichtete, hat Ole von Beust inzwischen einen neuen Arbeitgeber gefunden: Als "Senior Advisor" soll der Bürgermeister a.D. für die Unternehmensberatung Roland Berger von diesem Monat an seine Kenntnisse und Kontakte in Politik und Wirtschaft nutzen.

Man fragt sich allerdings, warum das überhaupt erforderlich ist, denn die Kontakte von Roland Berger zu Eliten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Hansestadt sind bereits jetzt exzellent:

  • Elbphilharmonie: "Höchstens 95 Mio. Euro" sollte das umstrittene Großprojekt den Steuerzahler ursprünglich kosten, inzwischen sind es 323 Mio. Euro. Die Verträge mit dem Baukonzern Hochtief hatte Hartmut Wegner ausgearbeitet, ein früherer Projektmanager bei Roland Berger. Nach seinem Abschied bei der Unternehmensberatung wechselte er 2002 zur städtischen Projekt-Realisierungsgesellschaft ReGe, die für den Bau der Elbphilharmonie zuständig ist. 2004 wurde Wegener außerdem Projektkoordinator „Elbphilharmonie“ des Beust-Senats. Nach einigen Pleiten, Pech und Pannen rund um das Großprojekt musste er 2008 bei der ReGe seinen Hut nehmen. Auch an anderer Stelle stößt man bei der Elbphilharmonie auf den Namen Roland Berger. Deren Berater beurteilten "in einer "Pro-Bono-Aktion" "die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Spielbetriebs und gaben Empfehlungen für die Organisation der Betriebsgesellschaft ab". Desweiteren empfahlen die Berger-Leute u.a. die Gründung einer Elbphilharmonie-Stiftung (pdf). Eine Geschäftsführerin war auch schnell gefunden: Wibke Kähler-Siemssen, zuvor vier Jahre lang Senior Consultant bei Roland Berger.
  • Universität Hamburg: Am 1. Dezember 2006 (pdf) trat Katrin Vernau ihren Dienst als Kanzlerin der Universität Hamburg an - auch sie eine langjährige Roland Berger-Beraterin, wie auf der Unternehmenswebsite nachzulesen ist. Zusammen mit zwei weiteren Berger-Leuten hatte Vernau zwei Jahre zuvor die Beratungsfirma blv consult gegründet, für die sie bis zum 31. Dezember 2006, also noch während ihrer Zeit als Uni-Kanzlerin, als Geschäftsführerin arbeitete. Auf der Internetseite von blv consult heißt es: "Als langjährige Mitarbeiter von Roland Berger Strategy Consultants (www.rolandberger.com) im Bereich "Öffentliche Verwaltung/Non-Profit-Organisationen" sind wir dem Unternehmen weiterhin freundschaftlich verbunden. Wir pflegen einen engen Kontakt vor allem zum Hamburger Büro und zu Dr. Burkhard Schwenker, Vorsitzender der Geschäftsführung." (Schwenker war es übrigens, der Ole von Beust zu Roland Berger holte.) Eine mögliche Interessenkollision der Kanzlerin schloss der Senat in einem Schreiben von 2007 aus. Garant dafür (pdf) sei die Fachaufsicht durch die Wissenschaftsbehörde. Deren damaliger Chef: Ex-Roland Berger-Mann Jörg Dräger, der sich selbst immer wieder Fragen zu einer möglichen Interessenkollision (pdf) stellen lassen musste. Auch der Präsident der Universität Hamburg ist mit Roland Berger verbunden. Zusammen mit dem Unternehmensgründer sitzt Dieter Lenzen, im März 2010 von der FU Berlin in die Hansestadt gewechselt, im Kuratorium der Roland Berger-Stiftung.
  • Hapag-Lloyd: Auch das in Not geratene Hamburger Traditionsunternehmen wurde von den Roland Berger-Beratern für eine Expertise genaustens unter die Lupe genommen. „Zur Beurteilung der langfristigen Zukunftsaussichten haben wir bei Roland Berger ein Gutachten in Auftrag gegeben,“ erklärte der damalige Bürgermeister von Beust im Juli 2009 in einem Interview. Die Stadt Hamburg ist Mitgesellschafter von Hapag-Lloyd.
  • Finanzsenator Carsten Frigge: Der frühere Wirtschaftsstaatsrat und heutige Finanzsenator gehörte zwischen 1995 und 1997 der Geschäftsleitung von Roland Berger & Partner an. Einige Kontakte aus der Berater-Zeit haben sich bis heute gehalten, etwa der zum Aufsichtsratsvorsitzenden der angeschlagenen HSH-Nordbank, Hilmar Kopper, mit dem der Finanzsenator von Amts wegen regelmäßig zu tun hat. „Ich kenne ihn schon lange aus meiner Beratungstätigkeit bei Roland Berger," erzählte Frigge kürzlich im Interview mit dem Hamburger Abendblatt, "als wir die Deutsche Bank beraten haben und er dort Vorstandsvorsitzender war. Und der Kontakt hat sich auch im Privaten fortgesetzt." Später dann profitierte Frigge von der Bekanntschaft aus seiner Berger-Zeit auch geschäftlich. Als er 1997 aus der Geschäftsführung bei Berger ausschied und sich mit der Unternehmensberatung C4 selbstständig machte, gehörte Kopper zu den ersten Kunden.

Das Praktische an dem Bäumchen-wechsel-dich-Spiel zwischen Politik und Unternehmensberatung: Man kennt sich, und wahrscheinlich schätzt man sich oftmals auch. Das ist die Grundlage dafür, dass mal der eine von den Kontakten des anderen profitiert und umgekehrt. Vergangenes Jahr etwa sollte Firmengründer Roland Berger persönlich für die Große Koalition die Opel-Rettung managen, interessant für die Bundesregierung waren dabei "seine nationalen und internationalen Kontakte". Umgekehrt sicherte sich Roland Berger im Sommer 2009 die Dienste des CDU-Politikers Friedbert Pflüger, der als Abgeordneter im Berliner Landesparlament sitzt und früher einmal Fraktionsvorsitzender sowie Spitzenkandidat seiner Partei war. Für die Unternehmensberatung soll Pflüger eine EU-Abteilung aufbauen, wofür seine Kontakte als derzeitiges Vorstandsmitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) und als ehemaliger Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestags sicher nicht die schlechteste Voraussetzung sind.

Nun also wechselt auch Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust die Seiten. „Drehtür-Effekt“ wird dieser fliegende Wechsel von Führungspersonen zwischen Politik und Wirtschaft genannt - eine Praxis, die nicht erst seit Alt-Kanzler Gerhard Schröder (zu Gazprom) und Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller (zur Ruhrkohle AG) bekannt ist. Das Problem daran: Eine bestimmte Interessengruppe erhält privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen. Die Organisation Lobbycontrol hat die Problematik so beschrieben:

Ehemalige Spitzenpolitiker/innen sind für Unternehmen als Lobbyisten, Berater oder Mitglieder im Vorstand oder Aufsichtsrat deshalb so beliebt, weil sie zwei unbezahlbare Ressourcen mitbringen: erstens detaillierte Kenntnisse über interne Abläufe in politischen Prozessen und zweitens noch warme Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern. Damit sichern sich die Unternehmen einen besonderen Zugang zur Politik, der sie gegenüber anderen Interessen privilegiert. Das Schwätzchen mit dem ehemaligen Politiker-Kollegen … kann mehr wert sein, als seitenlange Stellungnahmen oder Eingaben bei Anhörungen.

Beusts künftige Aufgabe dürfte sein, für die Kunden von Roland Berger eben jenen „close contact with international thought leaders in politics, business, industry organizations, academia and the relevant media“ herzustellen, mit dem die Unternehmensberatung auf ihrer Website wirbt.

Vor dem Hintergrund des Personalwechsels zwischen Politik und Beratungsfirmen offenbart sich ein weiteres Problem. Die Regierungen in Bund und Ländern greifen inzwischen häufig auf den externen Sachverstand von privaten Beratern zurück. Allein die Hamburger Landesregierung unter Ole von Beust hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren 98 Gutachten an externe Unternehmen vergeben, wie eine Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei ans Licht brachte (pdf) (Roland Berger erhielt in dieser Zeit keinen Auftrag). Wenn es – wie auf Bundesebene – teilweise um Millionenaufträge durch staatliche Stellen geht, um die zahlreiche Beraterfirmen konkurrieren, sind die Kontakte ehemaliger Politiker zu ihrer früheren Wirkungsstätte zumindest kein Wettbewerbsnachteil bei der Auftragsakquise.

Den Vorwurf, dass bestimmte Beratungsfirmen bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Stellen bevorzugt werden, gibt es immer wieder. CDU und CSU haben ihn gegenüber der Schröder-Regierung erhoben, die zwischen 1999 und 2004 insgesamt 24 Beratungsaufträge an Roland Berger vergeben haben soll (pdf), darunter allein 19 durch das Bundesverteidigungsministerium. Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff warf 2004 seinen Vorgängern Sigmar Gabriel und Gerhard Schröder vor, sie hätten sich von Roland Berger Gefälligkeitsgutachten schreiben lassen, wobei das Honorar gestückelt wurde, um die Aufträge nicht ausschreiben zu müssen. Und nicht zuletzt die bereits erwähnte Auftragsvergabe von Beusts Wissenschaftssenator und ehemaligen Berger-Berater Jörg Dräger an seinen ehemaligen Arbeitgeber geriet in den Verdacht der Vetternwirtschaft. Roland Berger bekam den Auftrag infolge einer sog. "beschränkten Ausschreibung", bei der ausgewählte Beraterfirmen eingeladen werden, ein Angebot abzugeben. Senator Dräger war, wie sich erst nach einer Parlamentsanfrage der Opposition herausstellte, Vorsitzender eines Gremiums, welches den Auftrag schließlich an Roland Berger vergab. Verwundert fragte die Opposition (pdf), "was denn Roland Berger so qualifiziert, in Sachen Hochschulen tätig zu werden. Sonst hat das immer das CHE gemacht..."

In diesen Tagen nun nimmt Alt-Bürgermeister Ole von Beust seine Tätigkeit in der Hamburger Niederlassung von Roland Berger auf. Wenn er seinen neuen Arbeitgeber nicht enttäuscht, dürfte er künftig so einige Schwätzchen mit den ehemaligen Politiker-Kollegen halten. Update 27.7.2012: Die Hamburger Morgenpost schreibt unter Berufung auf ein Interview der Süddeutschen Zeitung mit Ole von Beust: "Ole von Beust (57), langjähriger Hamburger Bürgermeister, genießt es, in der freien Wirtschaft viel Geld zu verdienen." Von Beust gegenüber der Süddeutschen Zeitung:

Aber ich will nicht jammern. Ich verdiene ja jetzt auch deshalb gut, weil ich im Bürgermeisteramt Erfahrungen gesammelt habe.

Oder anders ausgedrückt: Roland Berger zahlt deswegen so gut, weil der Alt-Bürgermeister im Bürgermeisteramt so gute Kontakte geknüpft hat. Foto: E. S. Myer / Wikipedia / CC

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