Duma vs. Bundestag 83,9%:19,4%

von Martin Reyher, 27.05.2010

 

Was aussieht wie die Außenwette bei "Wetten dass" ist in Wirklichkeit eine Szene aus einer Parlamentssitzung der russischen Duma:

 

 

In dem Video betätigen sich einige Abgeordnete in der fast leeren Duma dabei, für ihre abwesenden Parlamentskollegen mit abzustimmen. So kommt es, dass dem Gesetz zur Einführung der 0,0-Promille-Grenze im Straßenverkehr, nunja, 449 von 88 anwesenden Duma-Abgeordneten zustimmten. Macht bei insgesamt 550 Parlamentariern eine Zustimmungsquote von sagenhaften 99,8 Prozent! Ans Licht kam das Ganze eher zufällig, weil die Kamera eines TV-Senders noch mitlief. Das eigentlich Interessante an der Geschichte ist nicht die Zustimmungsquote, sondern der Anteil der Abwesenden: 83,99 Prozent der Abgeordneten hatte zum Zeitpunkt der Abstimmung etwas besseres zu tun. Wie pflichtschuldig sind da doch unsere Bundestagsabgeordneten! Die höchste von abgeordnetenwatch.de gemessene Abwesenheitsquote bei einer namentlichen Abstimmung liegt bei gerade einmal 19,44 Prozent...

 

Nachtrag vom 31.05.2010: Mehr Stimmen als anwesende Abgeordnete - das gibt es nicht nur in der Duma, sondern auch im Thüringer Landtag. Bei der Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes am vergangenen Freitag wurden 88 Stimmzettel abgegeben, obwohl nur 86 Landtagsabgeordnete anwesend waren. Die Zeitung "Freies Wort" berichtete am Samstag:

Dass es sich um ein Versehen handeln könnte, wurde ausgeschlossen. Ein oder zwei Abgeordnete müssen mehrfach in die Wahlkabine gegangen sein. Da zwei Mitglieder der Linken fehlten, fiel der Verdacht auf ihre Fraktion. 'Sie haben den Plan offenbar übererfüllt", mutmaßten einige Parlamentarier.

Mittlerweile ist der Namen von zumindest einer Abgeordneten bekannt, die doppelt abstimmte. Sabine Berninger, Fraktionsmitglied der Linken, bittet auf ihrer Homepage öffentlich um Entschuldigung. Sie schildert den Vorgang so:

Nachdem ich von meinem Wahlrecht im ersten Wahlgang Gebrauch gemacht hatte, verließ ich den Plenarsaal für ein Gespräch in der Lobby des Thüringer Landtages. In der Annahme, ein neuer Wahlgang sei aufgerufen, eilte ich wieder in den Plenarsaal und wählte erneut. Dass ich einen Fehler gemacht habe, bemerkte ich bei Verkündung des Ergebnisses.

Berninger versicherte, dass es in keinster Weise ihre Absicht gewesen sei, den Wahlgang zu stören, den Verfassungsgerichtshof oder den Thüringer Landtag zu brüskieren. Die durch ihr Schweigen entstandene Verwirrung und der Eindruck, jemand wolle die oberste gerichtliche Instanz des Freistaates beschädigen, tue ihr außerordentlich leid. Noch nicht gemeldet hat sich bislang der zweite Abgeordnete, der doppelt abstimmte.

 

Nachtrag vom 09.06.2010: Ähnlich wie die russischen Kollegen bei den Knöpfendrückern aus der Duma hat auch das MDR-Fernsehen den Videobeweis angewendet. Auf diese Weise überführte der öffentlich-rechtliche Sender die zweite Abgeordnete, die doppelt abgestimmt und sich trotz Ultimatums der Landtagspräsidentin bislang nicht gemeldet hatte: Elke Holzapfel von der CDU. Holzapfel sagte gegenüber dem MDR, sie könne sich an die näheren Umstände nicht erinnern. Die ganze Angelegenheit sei ihr sehr peinlich. Ein nicht so gutes Licht wirft der Fall Holzapfel auf die CDU in Thüringen. Nach dem öffentlichen Eingeständnis der Linken-Abgeordneten Sabine Berninger vor gut einer Woche, zweimal abgestimmt zu haben, hatten CDU-Abgeordnete von Wahlbetrug gesprochen. Die Nachwuchsorganisation Junge Union hatte Berninger sogar zum Rücktritt aufgefordert.

 

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