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Freiberufler hören nicht auf Koalition - und kandidieren trotzdem

Heute wird der Bundestag neue Veröffentlichungsregeln für Nebeneinkünfte beschließen. Doch anstatt volle Transparenz zu schaffen, werfen manche Politiker lieber mit Nebelkerzen und schwadronieren von einem Parlament ohne Selbstständige. Das ist Unsinn! Nie gab es mehr Freiberufler im Bundestag.

von Martin Reyher, 14.03.2013

Wenn es um die Veröffentlichung von Nebeneinkünften geht, kann man eigentlich den Wecker danach stellen, dass wenig später jemand das Mantra vom "Bundestag ohne Freiberufler" in ein Mikro betet.

In besonderer Sorge ist dann jedes Mal der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen. Zum Beispiel im Juni 2005, als der Bundestag mit den Stimmen von SPD und Grünen eine Veröffentlichungspflicht light für Nebeneinkünfte einführte:

 

Es ist völlig klar, dass mit den geplanten Neuregelungen eins auf jeden Fall erreicht wird: Angestellte, Freiberufler und Gewerbetreibende werden künftig von einer Kandidatur zum Deutschen Bundestag eher absehen.

Eine Neuregelung darf [...] die Zahl der im Bundestag ohnehin schon in viel zu geringer Zahl vertretenen Mittelständler, Selbstständigen und Freiberufler nicht noch weiter beeinträchtigen.

Fast alle derjenigen Kollegen, die aus diesem Bereich kommen, haben gesagt: Offenlegungspflichten führen dazu, dass wir unserer wirtschaftlichen Tätigkeit [...] nicht gerecht werden können, weil unsere Konkurrenten ablesen können, wie unsere wirtschaftliche Situation ist. Damit haben wir erhebliche wirtschaftliche Nachteile.

Machen wir einmal den Faktencheck:

Folgende Grafik zeigt die Entwicklung von Freiberuflern und Selbstständigen unter den Bundestagsabgeordneten in den letzten zwei Jahrzehnten: (Quelle: bundestag.de)

 

Kurzum: Seit Einführung der Veröffentlichungspflicht für Nebeneinkünfte im Juni 2005 sitzen so viele Selbstständige und Freiberufler im Bundestag wie nie zuvor in den vergangenen Jahrzehnten. Offenbar fühlten sich nicht allzu viele Anwälte und Ärzte von dem rot-grünen Drei-Stufen-System abschrecken. Heute nun wollen Union und FDP die Offenlegungspflichten reformieren. Doch anstatt volle Transparenz zu schaffen, werfen manche Politiker lieber weiter mit Nebelkerzen - zum Beispiel, wenn abgeordnetenwatch.de und andere eine Offenlegung von Nebeneinkünften auf Euro und Cent fordern. Welches Argument ziehen die Vertreter der schwarz-gelben Koalition dann aus dem Ärmel...? Genau:

Sie wollen Freiberufler, Handwerker und Selbstständige ausschließen.

(Helmut Brandt, CDU/CSU, am 8.11.2012 im Bundestag)

Wir haben nicht nur ein Parlament für Beamte oder Angestellte, sondern auch für Selbstständige und Mitglieder der freien Berufe. Diese haben schutzwürdige Interessen Dritter.

(Hermann Otto Solms, FDP, ebd.)

Deswegen werden wir als Koalition keiner Regelung zustimmen, die es diesen Berufsgruppen weiter erschwert oder sogar unmöglich macht, sich um ein Bundestagsmandat zu bewerben.

(Bernhard Kaster, CDU/CSU, ebd.)

Update 15.03.2013 Gestern Abend hat der Bundestag mit den Stimmen von Union und FDP die neue Zehn-Stufen-Regelung beschlossen (die Oppositionsparteien forderten dagegen eine Offenlegung der Einkünfte auf Euro und Cent). Eine öffentliche Debatte gab es nicht - die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Natürlich taucht auch dort das Argument vom drohenden Parlament ohne Freiberufler wieder auf:

Lassen Sie mich abschließend einmal mehr davor warnen, die Rechtsstellung und das Berufsbild des Abgeordneten in eine Richtung zu verändern, die dem freien Mandat und dem Parlament insgesamt Schaden zufügen würde. Wir brauchen ein Parlament, das aus der Breite der Gesellschaft zusammengesetzt ist. Es darf nicht dazu kommen, dass bestimmte Berufsgruppen wie Freiberufler, Handwerker, Gewerbetreibende immer schwerer für die Übernahme eines politischen Mandates zu gewinnen sind.

(Wolfgang Götzer, CDU/CSU)

Wir wollen auch in Zukunft Selbstständige und Freiberufler in einer guten Mischung im Deutschen Bundestag.

(Bernhard Kastner, CDU/CSU)

Mitarbeit: Mathias Rakow

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