Bürger fluten Bundesregierung mit Anträgen zu Lobbypapieren

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Seit Donnerstagmittag (15. Juni) haben Bürgerinnen und Bürger mehr als 1.250 Anträge auf Herausgabe von Lobbyisten-Stellungnahmen an die Bundesministerien sowie das Kanzleramt gestellt. Dies teilten die Initiativen abgeordnetenwatch.de und fragdenstaat.de am heutigen Dienstag mit. Vergangene Woche hatten sie die Transparenzaktion „Gläserne Gesetze“ gestartet, durch die der Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung sichtbar werden soll. Über das neue Internetportal http://glaesernegesetze.de können Bürgerinnen und Bürger seitdem mehrere tausend Lobbypapiere  auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) per Mausklick bei der Regierung anfordern.

"Anstatt die vielen tausend Lobbypapier frei zugänglich ins Internet zu stellen, werden sie von den allermeisten Ministerien zurückgehalten", kritisierte abgeordnetenwatch.de-Geschäftsführer Gregor Hackmack am Dienstag. "Nur auf Anfrage können Bürger und Journalisten die Stellungnahmen erhalten. Sie müssen dringend öffentlich werden, weil sie ein wichtiger Teil der Gesetzgebung sind!"

Mit der Aktion wollen abgeordnetenwatch.de und fragdenstaat.de alle relevanten Dokumente aus dem Gesetzgebungsverfahren transparent machen, wozu neben den Stellungnahmen auch Referentenentwürfe und vom Kabinett beschlossene Regierungsentwürfe gehören. Auf diese Weise soll nachvollziehbar werden, ob beispielsweise Formulierungen aus den Lobbypapieren in Gesetzestexte eingeflossen sind (die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Transparenzaktion lesen Sie hier: https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/glaesernegesetze_faq ).

"Die Anfragen sind die einzige Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, das Gesetzgebungsverfahren transparenter zu machen", so Arne Semsrott, Projektleiter von fragdenstaat.de. "Dabei könnte sich die Verwaltung eigentlich sehr viel Arbeit ersparen. Schon jetzt sind fast so viele Anfragen bei den Bundesministerien eingegangen wie im gesamten vergangenen Jahr." 2016 waren es laut fragdenstaat.de 1.628 Anträge auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetz.

Semsrott erwartet, dass Bürgerinnen und Bürger in den kommenden Wochen an die zehntausend Anträge zur Herausgabe von Lobbyisten-Stellungnahmen an die Bundesregierung stellen werden. Insgesamt haben die beiden Transparenzinitiativen rund 17.000 Fälle aus der aktuellen Legislaturperiode zusammengetragen, in denen die Bundesministerien sowie das Kanzleramt Interessenvertreter um Stellungnahmen zu geplanten Gesetzentwürfen gebeten haben.

Nach Angaben von abgeordnetenwatch.de wird die Weigerung der Bundesregierung, die Lobbypapiere von sich aus ins Internet zu stellen, für die Ministerialverwaltung zu einem gewaltigen Problem. Am Beispiel einer vergleichbaren Aktion von 2016 rechnet die Transparenzinitiative vor, dass allein die Erstbearbeitung von etwa 4.000 Bürgeranträgen - also die Registrierung und das Versenden einer Eingangsbestätigung - 42 Arbeitstage eines Ministerialbeamten in Anspruch nehmen dürfte. Damit sei allerdings noch keine Stellungnahme herausgesucht, mit einem Anschreiben versehen und an den Antragssteller verschickt. Alles in allem dürfte ein Beamter laut abgeordnetenwatch.de mindestens 167 Arbeitstage damit beschäftigt sein, um rund 4.000 Lobbyisten-Stellungnahmen an die Bürgerinnen und Bürger zu verschicken (Bei der Modellrechnung ging es um eine ähnliche Transparenzaktion zur Herausgabe von etwa 4.000 Bundestags-Gutachten. https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/2016-01-27/die-geheimniskramer-aus-dem-bundestag-wie-eine-behorde-sich-selber-lahmlegt ).

abgeordnetenwatch.de und fragdenstaat.de appellierten deswegen am Dienstag an die Bundesregierung, "dem Irrsinn ein Ende zu bereiten und endlich sämtliche Lobbypapiere im Internet zu veröffentlichen".

Die beiden Transparenzinitiativen verlangten darüber hinaus gesetzliche Transparenzregelungen. „Es braucht endlich ein Transparenzgesetz, durch das sichtbar wird, welche Lobbyisten an einem Gesetz mitwirken“. abgeordnetenwatch.de hatte im Februar 2017 einen Gesetzentwurf für ein verbindliches Lobbyregister vorgelegt.

 

Weiterführende Informationen:

  • Transparenzportal „Gläserne Gesetze“: https://fragdenstaat.de/gesetze/
  • Die wichtigsten Fragen und Antworten zu „Gläserne Gesetze“: https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/glaesernegesetze_faq
  • abgeordnetenwatch.de-Berechnung zur Arbeitszeit für das Abarbeiten sämtlicher Bürgeranfragen am Beispiel der Bundestags-Gutachten von 2016: https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/2016-01-27/die-geheimniskramer-aus-dem-bundestag-wie-eine-behorde-sich-selber-lahmlegt
  • Informationen zum Gesetzentwurf von abgeordnetenwatch.de für ein verbindliches Lobbyregister https://www.abgeordnetenwatch.de/lobbyregister-jetzt