Anzeigen über eine Million Euro: Wie Unternehmen und Verbände Parteizeitungen unterstützen

Unternehmen und Verbände haben nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de im Jahr 2018 Anzeigen im Wert von über 1 Million Euro in Parteimagazinen gebucht. Wie viel genau gezahlt wurde, ist nicht bekannt – Transparenzpflichten existieren nicht. Nur eine Parteizeitung legt ihre Werbeeinnahmen freiwillig offen. Die Recherche zeigt: Neben der intransparenten Finanzierung geht es bei den Anzeigen um Lobbyismus.

von Catharina Köhnke, 09.08.2019
Mitglieder-Magazine von Parteien und Anzeigen (Symbolbild)

Trotz Facebook, Twitter und Newsletter geben die Parteien noch klassische Mitgliederzeitungen heraus. Finanziert werden die meisten dieser Magazine durch Anzeigen (abgeordnetenwatch.de berichtete). Für das Jahr 2018 geht es nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de um Werbeplätze im Wert von über eine Million Euro. 

Die Anzeigen werden verwaltet durch die Parteien selbst oder von Agenturen, die sich teilweise in Parteibesitz befinden. Anders als bei klassischen Parteispenden müssen Parteien ihre Anzeigen-Einnahmen nicht veröffentlichen. abgeordnetenwatch.de hat die Anzeigen aus dem Jahr 2018 in mehreren Mitgliedermagazinen erfasst und die möglichen Einnahmen anhand der Mediadaten kalkuliert.

Einnahmen durch Anzeigen sind in nur einem Fall öffentlich

Mitgliederzeitschriften der Parteien

Die SPD („vorwärts“) und die Grünen haben ein bundesweites Magazin sowie einige Regionalausgaben bzw. Beilagen. Auch die FDP gibt eine bundesweite Zeitung heraus („fdplus“). Das bundesweite „C&DU“-Magazin erscheint nur einmal im Jahr. Die Medien der CDU sind vor allem regional strukturiert. Für die Recherche haben wir neben dem C&DU-Magazin die Zeitungen aus NRW („Bei uns in NRW“) und Hessen („Hessenkurier“) herangezogen. Der Bayernkurier wird zwar von der CSU herausgegeben, ist aber kein Mitgliedermagazin und wurde daher nicht berücksichtigt. In der Linken-Parteizeitung DISPUT erscheinen mit Ausnahme der Tageszeitung „Neues Deutschland“, an der die Partei beteiligt ist, keine Unternehmensanzeigen. In der AfD-Mitgliederzeitschrift „AfD kompakt“ werden keine Inserate von Unternehmen oder Verbänden geschaltet.

Das „C&DU“-Magazin, der „Hessenkurier“ und „Bei uns in NRW“ könnten nach Berechnungen von abgeordnetenwatch.de allein im Jahr 2018 um die 900.000 Euro durch Anzeigen eingetrieben haben. Der „vorwärts“ der SPD kam auf 375.000 Euro. Als einziges Partei-Medium veröffentlicht er eine Liste mit den Einnahmen durch Anzeigen auf seiner Homepage. Beim Magazin der Grünen sind es Anzeigen im Wert von fast 50.000 Euro, für die „fdplus“ lassen sich um die 65.000 Euro nachvollziehen. Da das FDP-Magazin als E-Paper nicht vollständig gratis einsehbar ist, konnte abgeordnetenwatch.de wahrscheinlich nicht alle Anzeigen einberechnen. Ein weiteres Problem ist: Auch Mengenrabatte und die Masse an verschiedenen Publikationen von Partei-eigenen Betrieben machen eine genaue Aufstellung von Einnahmen bzw. Umsätzen durch Anzeigen unmöglich. Zwei Gesprächspartner gaben zudem an, dass Inserate manchmal im Paket verkauft werden, zusammen mit der Anmietung eines Standes auf einem Parteitag. Durch die Beträge lässt sich nur erahnen, was Unternehmen und Verbände die Präsenz in den Zeitschriften kosten kann.

Politische Arbeit und Anzeigenverkauf sind schwer zu trennen

Die Einnahmen aus den Anzeigengeschäften landen in der Regel nicht direkt in den Kassen der Parteien. Häufig sind es Verlage oder Agenturen, die sich darum kümmern, manchmal auch Parteipolitiker:innen selbst oder Mitarbeiter:innen in den Geschäftsstellen der Parteien. Die Grünen haben die Anzeigenverwaltung an eine Agentur ausgelagert, die Runze & Casper Werbeagentur. Anders ist es bei der CDU in NRW und Hessen: Beim Magazin „Bei uns in NRW“ ist es die Landespartei selbst, die für den Vertrieb der Anzeigen zuständig ist, erfährt abgeordnetenwatch.de auf Nachfrage. Komplizierter ist es beim „Hessenkurier“. Im Impressum ist Helmut Hehn als für die Anzeigen „verantwortlich“ genannt. Der eigentliche Vertrieb läuft über die Verlags- und Werbegesellschaft für politische Meinungsbildung (ein Unternehmen der CDU) und die BK Kommunikation Verlagsgesellschaft. Deren geschäftsführende Gesellschafterin ist Anemone Bippes, CDU-Politikerin und Beisitzerin in der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU Baden-Württemberg. Die geschäftlichen und politischen Fragen sind in der CDU Hessen und der CDU NRW für Außenstehende nur schwer zu unterscheiden, weil die Parteien nicht immer die Zuständigkeiten trennen.

Kundschaft mit eigenen politischen Interessen

Der größte Kunde von „Bei uns in NRW“ ist die Deutsche Automatenwirtschaft, die mit Ausnahme des Magazins der Grünen in allen Parteizeitungen wirbt. Überparteilich präsent ist auch die Volkswagen AG. Der Gesamtwert ihrer Anzeigen liegt bei gut 100.000 Euro, aufgeteilt auf die Magazine „C&DU“, „vorwärts“ und „fdplus“. Im Landesmagazin der CDU Hessen sind viele lokal ansässige Betriebe (z.B. die Schwälbchen Molkerei AG) und auch die Finanzindustrie (Commerzbank, Deutsche Börse, Bankhaus Metzler) vertreten. Auffallen tut hier der Bundesverband für Windenergie, der Anzeigen im Wert von knapp 63.000 Euro gebucht hat. Die Windenergie ist in Hessen wie im Rest des Landes ein stark umkämpftes Thema. In Bezug auf die Anzeigen sagt ein Sprecher des Verbands: „Über Anzeigen erreichen wir eine Sichtbarkeit bei den Mitgliedern der Parteien. Hessen ist wichtiger Motor der Energiewende." Eine andere Anzeigenkundin des Hessenkuriers aus 2018, die Internet-Apotheke DocMorris. Diese erklärt auf Anfrage: „DocMorris pflegt den regelmäßigen Dialog mit allen relevanten Interessensgruppen. Dazu gehört auch das Engagement in Magazinen oder bei Parteitagen.“

Die Anzeigenkundschaft ist häufig selbst politisch aktiv und verbreitet mit der Werbung eigene politische Ideen. Ihre Mitgliedermagazine lassen sich Parteien also oft von politischen Interessenvertreter:innen mitfinanzieren. Eine Sprecherin der Grünen erklärt, man sei auf die Inserate in der Parteizeitung zwar angewiesen: „Es werden jedoch besonders die Unternehmen und Organisationen berücksichtigt, die in ihren Zielen und in ihrer Wirtschaftsweise der Politik von Bündnis 90/Die Grünen nahestehen.“ Im Magazin ist tatsächlich viel Reklame für grünes Investment zu finden. Auffallend oft stößt man jedoch auch auf Anzeigen des Verbands der Privaten Krankenversicherung. Dieser taucht in allen Zeitungen auf, die abgeordnetenwatch.de für die Recherche betrachtet hat. Diese Präsenz hat einen Wert von rund 94.000 Euro.

Lobbyismus in Anzeigen

Mehrfach stieß abgeordnetenwatch.de bei der Recherche auf Werbung, die nicht nur Produkte vermarktete:  VW will laut seiner Anzeige „Das große Ganze im Blick behalten“ und zeigt das Reichstagsgebäude im Hintergrund (so erschienen z.B. im vorwärts Nov./Dez. 2018). Im Mittelpunkt stehen nicht Autos, sondern die politischen Entscheidungen, die im Bundestag getroffen werden. Ein weiteres Beispiel stammt aus der Oktober-Ausgabe 2018 des Hessenkuriers. Darin wendet sich die Union Investment statt an Verbraucher:innen direkt an Politiker:innen. Die Genossenschaftliche Finanzgruppe Volksbanken Raiffeisenbanken bietet „Impulse zur neuen Legislaturperiode“ an und dazu „Fakten, Hintergrundinformationen und Lösungsideen für die Politikfelder Wirtschaft, Altersvorsorge und Nachhaltigkeit“ – Lobbyismus durch Anzeigen. Die hessische CDU rechtfertigt das so: „Die Anzeigen sind deutlich als solche gekennzeichnet. Die Leser können so klar erkennen, dass es sich um Inhalte von Interessenvertretungen handelt.“

Im Fall von Verlagsbeilagen ist die Vermischung von Produkt-Werbung und politischen Inhalten besonders delikat: Der Flüssiggaslieferant Progas wirbt im "vorwärts" der SPD mit den Worten „Unsere Energie für die Zukunft“. Warum eine „Energie für die Zukunft“ gebraucht wird, erfahren die Leser:innen auf derselben Seite. Ein Text, der zwar wie redaktioneller Inhalt wirkt, aber als „Verlagsbeilage ENERGIE“ gekennzeichnet ist, spricht von der Bedeutung des Kohleausstiegs. Der Einnahmen-Liste des „vorwärts“ zufolge wurde Progas nur eine halbseitige Anzeige aber keine „Verlagsbeilage“ berechnet (vorwärts-Ausgabe Juli/August 2018). Die für den "vorwärts" zuständige ASK Agentur erklärte abgeordnetenwatch.de, der Beilagen-Text wurde „unabhängig vom Kunden von uns geschrieben. Eine Vermengung von redaktionellen und werblichen Inhalten ist somit ausgeschlossen.“

Transparenz über Parteien-Sponsoring

Parteien reden die Bedeutung der Anzeigen gerne klein, so etwa die CDU NRW: „Maximal 15 Prozent der Herstellungskosten werden durch die Einnahmen aus Werbeanzeigen abgedeckt. Je nach aktueller tagespolitischer Lage behalten wir es uns auch vor, Anzeigen abzulehnen, um den Eindruck der politischen Einflussnahme durch Werbeanzeigen vorzubeugen.“ Doch trotz des Konflikts um den Hambacher Forst, der bereits seit einigen Jahren immer wieder aufloderte und sich 2017 verschärfte, erschien in der ersten 2018-Ausgabe von „Bei uns in NRW“ eine Anzeige der RWE AG: „Ständiges Auf und Ab braucht Sicherheit.“ Dass mehrere Seiten ihrer Mitgliedermagazine als Plattform für Lobbyakteur:innen verkauft werden, wird nicht von allen Parteien als grundsätzliches Problem gesehen.

Auch wenn bei Anzeigen nicht wie bei einer Parteispende unmittelbar Geld in der Parteikasse landet: Die Parteiarbeit wird durch die Werbeeinnahmen direkt unterstützt. Lobbyist:innen nutzen die Präsenz, um für eigene Inhalte und Produkte zu werben und die Parteien freuen sich über die finanzielle Unterstützung ihrer Mitgliederzeitungen. Transparenzpflichten für das Werbegeschäft gibt es im Gegensatz zu Parteispenden nicht. Letztere müssen ab einem Betrag von mehr als 10.000 Euro jährlich veröffentlicht werden, bei über 50.000 Euro sogar unverzüglich (eine eigentlich sehr laxe Regelung). abgeordnetenwatch.de fordert: Für die Einnahmen aus Anzeigen in Parteizeitungen müssen die gleichen Regeln gelten wie für Parteispenden.

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