Seitenwechsel in die Wirtschaft: Bundesregierung bremst Karenzzeit-Regelung aus

Seit einem Jahr können Kanzler, Minister und Staatssekretäre nicht mehr ohne weiteres in die Wirtschaft wechseln. Doch weil die Bundesregierung eine wichtige Entscheidung verschleppt, ist das Gesetz bis heute nicht anwendbar. Zu den Gründen schweigt sich das Kanzleramt aus – und verweigert abgeordnetenwatch.de Einsicht in interne Dokumente, die Licht ins Dunkel bringen könnten.

von Martin Reyher, 13.07.2016
Ausriss Schreiben Kanzleramt an abgeordnetenwatch.de

Vor ziemlich genau einem Jahr trat eine Regelung in Kraft, die zwar schwarz auf weiß im Gesetzestext steht, aber bis heute nicht angewendet werden kann.

Es geht um die sog. Karenzzeit, die gegen den nahtlosen Wechsel von Kanzler, Ministern und parlamentarischen Staatssekretären in einen Lobbyjob wirken soll. Seit Juli 2015 müssen hohe Regierungsmitglieder anzeigen, wenn sie in der freien Wirtschaft anheuern wollen. Eine Ethik-Kommission muss daraufhin prüfen, ob ein Interessenkonflikt vorliegt – im äußersten Fall droht den Seitenwechslern eine achtzehn monatige Sperre, bis sie ihren neuen Job antreten können.

Doch eine Ethik-Kommission, die mögliche Interessenkonflikte prüft, gibt es bis heute nicht. Denn die Bundesregierung war bislang nicht in der Lage, das dreiköpfige Gremium zu besetzen. Die Frage ist: Warum?

Was steht in der Akte "132 - 14000 – Bu 007"?

Warum die Ethik-Kommission wichtig ist


Die drei Mitglieder des Gremiums haben maßgeblich darüber zu befinden, ob ein Kanzler, ein Minister oder ein Parlamentarischer Staatssekretär direkt in die Wirtschaft wechseln darf oder zunächst eine Sperrfrist von bis zu 18 Monaten auferlegt bekommt. Die endgültige Entscheidung trifft zwar die Bundesregierung, doch dass diese sich über eine Kommissionsempfehlung hinwegsetzt, ist angesichts der öffentlichen Empörungswelle, die sie damit auslösen würde, schwer vorstellbar.

Über den Grund für die Verschleppung könnte eine Akte im Bundeskanzleramt Aufschluss geben. Sie trägt das Aktenzeichen „132 - 14000 – Bu 007“ und enthält mehrere Dutzend interne E-Mails, in denen es um das noch immer vakante Beratungsgremium geht. Die Korrespondenzen könnten beispielsweise einen Hinweis darauf geben, ob es innerhalb der Regierung zu einem Streit über die Besetzung der Ethik-Kommission gekommen ist.

abgeordnetenwatch.de hat deswegen vor einiger Zeit beim Bundeskanzleramt alle Korrespondenzen, Aktenvermerke und Notizen angefordert, die im Zusammenhang mit dem Beratungsgremium stehen. Auf unser Auskunftsgehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz reagierte die Regierungszentrale in aller Ausführlichkeit. In einem siebenseitigen Schreiben listen die Beamten zwar 44 betreffende Dokumente sorgfältig mit Aktenzeichen, Datum und Beschreibung auf, doch herausgeben wollen sie diese nicht. Begründung: „Eine Offenlegung dieser Dokumente zum derzeitigen Zeitpunkt würde die laufenden Beratungen innerhalb der Bundesregierung ernsthaft beeinträchtigen“. Das war Mitte April.

Öffentlichkeit wird schon seit Februar hingehalten

Doch auch ein Vierteljahr später ist die Bundesregierung bei der Kandidatensuche nicht fündig geworden. Vergangene Woche bequemte sich das Kanzleramt zu ein paar dürren Sätzen, die aber auch keine sachdienlichen Hinweise für die Verzögerung lieferten. Man wolle sicherstellen, dass „das Gremium nach seiner Zusammensetzung die größtmögliche Gewehr von Sachverstand, Sensibilität und Ausgewogenheit bietet,“ schrieb der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Helge Braun (CDU), als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Britta Haßelmann. Bedauerlicherweise hätten sich die geführten Gespräche „länger hingezogen, als dies zunächst absehbar war. Sie stehen nach derzeitigem Stand kurz vor dem Abschluss.“

Dass das Kommissions-Casting angeblich kurz vor dem Abschluss steht, hatte Staatsminister Braun allerdings auch schon Mite Februar bei einer Fragestunde im Bundestag behauptet:

 

Ausriss aus Plenarprotokoll vom 17.2.2016. Wortlaut: Was das beratende Gremium anbelangt, steht der Entscheidungsprozess der Bundesregierung zur Etablierung des Gremiums kurz vor dem Abschluss. Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Gremium nunmehr zeitnah etabliert werden kann.

 

 

Am Ende kann die Bundesregierung froh sein, dass es bislang keinen Fall gab, in dem eine Ethik-Kommission hätte tätig werden müssen. Denn seit Inkrafttreten der Karenzzeit-Regelung im Juli 2015 hat noch kein Regierungsmitglied einen Wechsel in einen Lobbyjob gemeldet. Doch das könnte sich schon bald ändern. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wolle Innenstaatssekretär Ole Schröder aus der Politik aussteigen. „Sobald er einen Wechsel in die Wirtschaft anzeigt“, so die SZ, „würde offenbar, was die Regierung angerichtet hat.“

Update 22. Juli 2016:

Nun endlich stehen die Mitglieder der Ethik-Kommission fest. Laut Lobbycontrol einigte sich das Bundeskabinett bei seiner Sitzung am Mittwoch auf folgende Personen:

  • den ehemaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel
  • die ehemalige Hamburger Senatorin Krista Sager
  • den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Michael Gerhardt.

Ernannt werden müssen diese nun vom Bundespräsidenten. Erst dann kann das Gremium seine Arbeit aufnehmen.

Vorkommende Politiker:innen

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