Warum der Bundestag öffentliche Angaben zu öffentlichen Petitionen schwärzte

In einem Bundestagsgutachten zu öffentlichen Petitionen sind alle relevanten Zahlen geschwärzt - obwohl die Angaben an anderer Stelle für jeden nachzulesen sind. Auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage wartet die Parlamentsverwaltung mit einer bizarren Erklärung auf.

von Martin Reyher, 05.04.2016

Gestern stießen wir auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zu der Frage, wie die Petitionen des Deutschen Bundestages die Demokratie verändert haben. Das Erstaunliche an der Ausarbeitung aus dem Jahr 2010 ist allerdings weniger das Fazit ("... hat einen weiteren kleinen Beitrag zu mehr Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am parlamentarischen Geschehen in Deutschland geleistet"), als vielmehr das, was man in dem Gutachten nicht lesen kann.

Gleich an mehreren Stellen ist die achtseitige Expertise unkenntlich gemacht: Die Anzahl der eingereichten öffentlichen Petitionen - geschwärzt. Die Zahl der Petitionszeichner oder der Diskussionsbeiträge - geschwärzt. Die Zahl der Seitenaufrufe - geschwärzt.

Auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de, warum derlei Angaben in dem Gutachten unkenntlich gemacht seien, wartete die Bundestagsverwaltung mit einer äußerst bizarren Erklärung auf: "Zur Praxis der Veröffentlichung kann ich Ihnen sagen, daß die Wiss. Dienste des Bundestages zuvor solche Passagen schwärzen, deren Inhalt die (Persönlichkeits)-Rechte Dritter berühren," erklärte ein Bundestagssprecher per Mail.

Die Schwärzung von bloßen Mengenangaben zu Petitionszeichnern oder Seitenaufrufen mit dem Persönlichkeitsrecht Dritter zu begründen - absurder geht es kaum. In dem gesamten Gutachten ist nicht eine Textstelle erkennbar, an der das Persönlichkeitsrecht eines Dritten auch nur ansatzweise tangiert wird.

Nun könnte man vielleicht annehmen, der Bundestag wolle die Resonanz zu seinen Petitionen aus einem anderen Grund unter Verschluss halten. Allerdings ist auch dies Unfug - denn der Petitionsausschuss veröffentlicht jedes Jahr einen unfangreichen Bericht, in dem er genau das schwarz auf weiß aufführt, was in der Ausarbeitung von 2010 unkenntlich gemacht wurde. In dem Bericht des Jahres 2008, um das es auch in dem geschwärzten Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes geht, ist beispielsweise zu lesen: "Bis zum Ende des Jahres erreichten den Ausschuss über dieses Medium in der Probephase insgesamt 667 durch den Ausschuss zugelassene Petitionen mit 32.882 Diskussionsbeiträgen und 1 144 859 Mitzeichnungen." (Eine Linkliste mit den Jahresberichten findet sich u.a. in der Wikipedia).

Und so lässt sich die Frage, warum der Bundestag öffentlich verfügbare Angaben zu öffentlich gestellten Petitionen unkenntlich machte, wohl am wahrscheinlichsten damit beantworten, dass ein Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes etwas übermotiviert zu Werke gegangen ist.

Auf der Seite sehrgutachten.de unserer Partner von FragDenStaat.de können Sie alle derzeit öffentlich verfügbaren Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes einsehen, durchsuchen und herunterladen.

Mitarbeit: Marthe Ruddat

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