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Transparenzverbot auf bundestag.de: Abgeordnete dürfen ihre exakten Nebeneinkünfte nicht nennen

St. Pauli-Fan, Ehren-Bambi-Gewinner oder eine Tätigkeit als Salsa-DJ: Auf der Bundestagshomepage dürfen Abgeordnete allerlei Triviales über sich mitteilen. Doch eines dürfen sie nicht: ganz transparent die Höhe ihrer Nebeneinkünfte nennen. Dies sei nicht möglich, behauptet die Parlamentsverwaltung. Sollen so die intransparenten Volksvertreter geschützt werden?

von Martin Reyher, 27.08.2015

Der Homepage des Deutschen Bundestages ist allerhand Informatives zu entnehmen, z.B. das Abstimmungsverhalten eines Volksvertreters oder seine Ausschussmitgliedschaften. Doch weil die nackten Zahlen und Fakten nur etwas für politische Feinschmecker sind, würzt so mancher Parlamentarier die Angaben auf seiner Bundestagsprofilseite gerne mit einer Prise Privatem.

 

Von Johannes Kahrs ist beispielsweise zu erfahren, dass er dem Kiezclub FC St. Pauli zugeneigt ist, sein Kollege Klaus-Dieter Gröhler hält es mit der Berliner Hertha. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble führt vom "Ehren-Bambi" bis zur "Goldenen Henne" so ziemlich jede Auszeichnung auf, die er schon einmal erhalten hat. Und der Abgeordnete Richard Pitterle lässt Bürgerinnen und Bürger über sich in der dritten Person wissen: "In seiner Freizeit tanzt er Salsa und Tango Argentino. Früher betätigte er sich als DJ für Salsa-Musik." Kurzum: Auf der Parlamentshomepage dürfen Bundestagsabgeordnete so ziemlich alles über sich mitteilen, was sie möchten.

Doch eine Sache, die geht gar nicht: dass ein Volksvertreter freiwillig Angaben zur genauen Höhe seiner Nebenverdienste macht.

Nachfrage beim Bundestag: Dürfen Abgeordnete freiwillig transparent sein?
 

abgeordnetenwatch.de-Nachfrage bei der Bundestagsverwaltung: "Dürfen die MdBs in ihrem Abgeordnetenprofil auf bundestag.de freiwillig Angaben zur konkreten Höhe ihrer Nebeneinkünfte sowie zum zeitlichen Umfang ihrer Nebentätigkeit machen? Falls nein: Warum nicht?"

Hierzu muss man wissen: Die Zusatzeinkünfte eines Abgeordneten werden auf der Bundestagshomepage nicht als Euro-Beträge aufgeführt, sondern in Form von Stufen (s. Grafik). Stufe 3 entspricht beispielsweise Nebeneinkünften zwischen 7.000 und 15.000 Euro, die Höchststufe 10 kennzeichnet einen Verdienst von "mindestens 250.000 Euro". Dieses intransparente Stufensystem führt dazu, dass große Teile der Nebeneinkünfte im Dunkeln bleiben, nach einer abgeordnetenwatch.de-Berechnung insgesamt bis zu 10 Mio. Euro seit Beginn der Legislaturperiode.

Das müsste nicht sein. Denn schon jetzt machen zahlreiche Politiker ihre exakten Einkünfte auf der eigenen Homepage öffentlich, einige stellen dort sogar den Steuerbescheid ein. Man fragt sich, warum sie dies nicht auch auf bundestag.de tun und hat da einen Verdacht...

"Weitere individuelle Angaben sind nicht möglich"

Die Antwort der Pressestelle kommt postwendend, sie lautet zusammengefasst: Volksvertretern ist es nicht gestattet, die genaue Höhe der Nebeneinkünfte anzugeben. Zur Begründung erklärt ein Parlamentssprecher: In Paragraph 3 der Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages sei "die Form der amtlichen Angaben in zehn Stufen auch in der Form verbindlich vorgeschrieben. Bei diesen amtlichen Angaben sind weitere individuelle Angaben also nicht möglich."

Genau das geht aus besagten Verhaltensregeln allerdings nicht hervor. Im schönsten Behördendeutsch heißt es dort lediglich: Die Angaben über die Nebeneinkünfte "werden in der Form veröffentlicht, dass bezogen auf jeden einzelnen veröffentlichten Sachverhalt jeweils eine von zehn Einkommensstufen ausgewiesen wird". Ein ausdrückliches Verbot von zusätzlichen Transparenzangaben auf freiwilliger Basis findet sich nirgends.

Lars Castellucci ist einer von zahlreichen "gläsernen Abgeordneten", der z.B. seine exakten Nebeneinkünfte freiwillig offenlegt. Gerne würde er auch auf seiner Bundestagsprofilseite transparent machen, wie viel er als Professor für Nachhaltiges Management an einer Mannheimer Hochschule nebenher verdient - doch die Bundestagsverwaltung lässt ihn nicht. Mit Unverständnis erklärte der SPD-Politiker gegenüber abgeordnetenwatch.de: "Ich bin dafür, dass alle Nebeneinkünfte von Abgeordneten auf Euro und Cent genau veröffentlicht werden müssen. Diese Transparenz sind wir unseren Wählerinnen und Wählern schuldig und Transparenz schafft Vertrauen. Bis es für diesen Vorschlag eine Mehrheit im Bundestag gibt, könnte eine gute Zwischenlösung sein, dass die Angaben zumindest auf freiwilliger Basis auf der Bundestagshomepage veröffentlicht werden können." Doch dem steht bislang die Bundestagsverwaltung entgegen.

[Nachtrag 28.8.2015: Auch Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion hat die Bundestagsverwaltung die Veröffentlichung ihrer vollständigen Nebeneinkünfte untersagt, wie Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte dem Neuen Deutschland mitteilte.]

Dass die Parlamentsverwaltung die Verhaltensregeln derart rigoros auslegt, ist eigentlich nur so zu erklären: Wenn Abgeordnete auf der Bundestagswebsite nicht nur Bambi-Auszeichnungen oder ihre Salsa-Leidenschaft mitteilen würden, sondern auch die Höhe ihrer Nebeneinkünfte, gerieten ihre intransparenten Kollegen unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck. Außerdem würden die "gläsernen Abgeordneten" mit ihren freiwilligen Transparenzangaben eine Komplettveröffentlichung von Nebeneinkünften quasi durch die Hintertür einführen - beides, so steht zu vermuten, dürfte nicht gewünscht sein.

abgeordnetenwatch.de-Appell an transparente Politiker: Drängen Sie auf die Veröffentlichung!

Immerhin eines gestatten die Parlamentsbeamten den transparenten Abgeordneten wie Castellucci: einen Link von der Bundestagsprofilseite zu ihrer privaten Homepage zu setzen. Dort müssen sich interessierte Bürgerinnen und Bürger die Informationen dann allerdings selber zusammensuchen. Denn verlinkt wird nicht auf die Unterseite mit den Transparenzangaben, sondern auf die Startseite.

abgeordnetenwatch.de ruft transparente Abgeordnete dazu auf, gegenüber der Bundestagsverwaltung auf der freiwilligen Veröffentlichung ihrer Nebeneinkünfte zu bestehen. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, dass Hobbys und Bambi-Auszeichnungen veröffentlicht werden dürfen, Transparenzangaben wie die Nebeneinkünfte aber nicht.

Mitarbeit: Mathias Rakow


Die Korrespondenz zwischen abgeordnetenwatch.de und der Bundestagsverwaltung im Wortlaut:
abgeordnetenwatch.de-Anfrage vom 7. August 2015:

Sehr geehrte Damen und Herren,

zu oben genannter Sache habe ich konkret folgende Fragen:

- Dürfen die MdBs in ihrem Abgeordnetenprofil auf bundestag.de freiwillig Angaben zur konkreten Höhe ihrer Nebeneinkünfte sowie zum zeitlichen Umfang ihrer Nebentätigkeit machen?
- Falls nein: Warum nicht?

Über eine Antwort bis zum kommenden Dienstag, den 11.08.2015, 12 Uhr wäre ich Ihnen sehr verbunden.

Mit freundlichen Grüßen

Antwort der Bundestagsverwaltung vom 7. August 2015:

Sehr geehrter Herr Rakow,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Art und Weise der Veröffentlichung ist in § 3 (,,Veröffentlichung") der ,,Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages" konkret geregelt. Dort ist die Form der amtlichen Angaben in zehn Stufen auch in der Form verbindlich vorgeschrieben. Bei diesen amtlichen Angaben sind weitere individuelle Angaben also nicht möglich. An anderer Stelle, etwa auf den persönlichen Homepages der Abgeordneten, liegt die Form der Nennung von
Einkünften/Nebeneinkünften selbstverständlich in der freien Entscheidung jedes/jeder Abgeordneten. Im Fall einer dortigen Veröffentlichung bietet die Bundestagsverwaltung an, unter ,,Veröffentlichungspflichtige Angaben" einen Link zur Homepage des Abgeordneten zu setzen.  

Hier der Link zu den Verhaltensregeln: http://www.bundestag.de/blob/194754/bc08b4bfbc8a9852b65b6be0b6b99b67/web_verhaltensregeln_2013-data.pdf

Mit freundlichen Grüßen

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